© Gerhard Kassner

Werner G. Lengenfelder: ein Leben mit Musik (Teil 1)

Bands & Leute Porträt

Vom Schülerjournalisten zum Pop-Papst

21. März 1987: In Augsburg beginnt die Lokalradio-Ära. Um 5.04 Uhr begrüßt der Moderator der Sendung „Radio Tele 1 Wecker“ die Hörer: „Let’s have Big Fun mit der Gap Band.“ Am Mikrofon sitzt Werner G. Lengenfelder. Knapp vier Jahrzehnte später treffe ich ihn zum Gespräch bei ihm zu Hause in Gersthofen.

„1. Stock“, schallt es durchs Treppenhaus. Oben an der Wohnungstür lerne ich ihn kennen: Werner G. Lengenfelder, Radiolegende, renommierter Musikjournalist, Fotograf, Buchautor – und KUKI-Mitglied. „Steinfußboden, lass die Schuhe an“, empfiehlt er und führt mich ins große offene Wohnzimmer. Durch die halb geschlossenen Rollläden der breiten Fensterfront fallen ein paar Sonnenstrahlen.

Ein Leben zwischen zwei Städten

Früher war er nicht so oft hier anzutreffen. „Durch die Coronapandemie hat sich das geändert“, erzählt er. Vorher sah es der öffentlich-rechtliche MDR Thüringen, für den Werner hauptsächlich tätig ist, nicht gern, wenn Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiteten. Mittlerweile ist Homeoffice auch dort möglich geworden. „Aber es kommt natürlich schon immer wieder vor, dass ich eine Woche oder länger in ganz Deutschland unterwegs bin.“

Sein Leben spielt sich zwischen zwei Städten ab. Werner hat auch ein Apartment in Erfurt, von wo aus er zu Interviews und Konzerten nach Leipzig, Berlin oder Hamburg aufbricht. Ein Leben auf Tour – nur, dass er selbst nie Musiker war. „Nee!“, lacht er auf die Frage, ob er ein Instrument spielt. „Wahrscheinlich kriege ich noch drei Griffe auf der Gitarre hin, und ich glaube, auf der C-Flöte würde ich auch noch einen Ton rausbringen.“ Heute ist kein Instrument mehr im Haus. „Aber ich habe mich immer für Musik interessiert“, sagt er – und diese Leidenschaft hat sein ganzes Leben geprägt.

Frühe Musikleidenschaft

Die ersten Schritte in die Musikszene führten den jungen Werner in Studentenkneipen wie das Annapam und das Thing. „Ich bin schon früh auf Konzerte gegangen“, erinnert er sich. Willy Michl, Georg Ringsgwandl, diverse Amateurbands – all das war sein Terrain. Werner ging noch zur Schule, da begann er, über solche Konzerte zu schreiben – für die Augsburger Allgemeine und die Aichacher Zeitung. Das war sein Einstieg in den Musikjournalismus, ein Weg, auf dem er nun schon fast fünf Jahrzehnte unterwegs ist.

Ein Konzert hat ihn dabei nie wieder losgelassen: 1979, Jazzhouse in Pfersee, Wolfgang Lackerschmid und Chet Baker. Werner fotografierte und schrieb darüber. Jahrzehnte später, als das Album in den USA neu veröffentlicht wurde, wählte man als Cover sein Foto von damals. Werner holt die CD aus dem Regal und zeigt sie mir – ein greifbares Stück seiner eigenen Geschichte.

© Werner G. Lengenfelder Wolfgang Lackerschmid und Chet Baker 1979 im Jazzhouse

Werners Interviewtechnik: von A bis Z zum Star

Im Lauf der Jahrzehnte hat Werner Hunderte Künstler interviewt. Wie verliert man die Scheu vor den Stars? Seine Antwort kommt ohne Zögern: „Gute Vorbereitung.“ Fürs Radio hat Werner eine spezielle Interviewtechnik entwickelt, die so ungewöhnlich wie effektiv ist: die Alphabet-Methode. „Fürs Radio brauchst du Antworten von 20 bis 40 Sekunden. Also nehme ich A bis Z, 26 Buchstaben, eine Minute pro Antwort – und du hast ein perfekt produzierbares Interview.“ Die Beispiele zeigen, wie clever diese Methode ist: Bei David Garrett nimmt Werner das V für „Violine“ und fragt nach seiner Stradivari, die er sich für ein paar Millionen zugelegt hat, und bei welchen Stücken er zur elektrischen Geige greift. Bei Peter Maffay das A: Als dessen jüngste Tochter zur Welt gekommen war, wollte Werner wissen, wie seine Frau und er auf den Namen „Anouk“ gekommen sind. „Gut, X und Y funktionieren nicht immer“, lacht Werner, „aber mit dieser Grundstruktur bin ich immer gut gefahren.“

Einmal, erzählt Werner, fragte er Peter Cetera nach einem kleinen Glöckchen im Intro von „If You Leave Me Now“. Cetera staunte: „You know my songs better than I do.“ Genau darum geht es Werner: Respekt zeigen. Arbeit würdigen. Vorbereitung als Wertschätzung. Nervös wird er heute kaum noch. Einen Namen hat er allerdings noch auf seiner Wunschliste: „Die Rolling Stones. Unkompliziert sollen sie ja sein, aber aus welchen Gründen auch immer ist es mir nie gelungen, einen Fototermin oder einen Interviewslot zu bekommen.“

Radio Tele 1: Lokalradio zum Anfassen

1987 ging Radio Tele 1 – heute Hitradio RT1 – auf Sendung. Morgens um fünf. Werner war der erste Moderator on air. „Das war schon eine sensationelle Aufbruchstimmung. Damals gab es in Bayern eigentlich nur den BR und AFN, und auf einmal hatten die Leute Radio zum Anfassen.“ Das gläserne Studio in der Ludwigspassage war ein Publikumsmagnet; Menschen blieben stehen, winkten. „Wir waren wirklich Stars – aber halt ganz lokal.“ Manches war chaotisch, doch überall spürte man die Euphorie. Und die Menschen übertrieben es auch gern: „Wir mussten uns Geheimnummern zulegen. Die Leute riefen Tag und Nacht an. Wir standen ja alle im Telefonbuch.“

© RT1 Werner 1988 am RT1-Mikrofon © RT1

In dieser Zeit entstand auch die Single „… ganz neue Töne“, ein Werbesong auf gelbem Vinyl zum Start des privaten Rundfunks. Von der ohrwurmtauglichen Radioproduktion hat Werner noch ein paar Exemplare in seinem Lager – Erinnerungsstücke aus einer Ära, in der Privatfunk noch Abenteuer war.

Augsburg, Erfurt und die Liebe zur lokalen Szene

Werner hat sich in Augsburg und Umgebung über Jahrzehnte für Musiktalente eingesetzt. Da war zum Beispiel der „Pop Albert“, ein Preis, der aus Talentwettbewerben in den Morning-Star-Diskotheken hervorging. Dieses Engagement ließ nie ganz nach, auch wenn die berufliche Spur ihn später zu MDR Thüringen führte. „Man muss Talenten eine Bühne geben“, sagt er. Und er weiß, wovon er spricht. Er erzählt von Bands, die im Bombig spielen, und von Nachwuchsmusikern, die Engagement lernen müssen – pünktlich zur Probe erscheinen, live auftreten, sich zeigen. „Es geht nicht darum, Stadien zu füllen. Es geht darum, gemeinsam Musik zu machen. Und vielleicht 30 Leute glücklich zu machen, die an diesem Abend zuhören.“

Auch in Erfurt ist sein Einsatz gefragt. In den Coronajahren organisiert er jeden Tag ein fünfminütiges Telefoninterview mit einer Thüringer Band: 120 Folgen. „Ich dachte ja, die Kolleginnen und Kollegen vor Ort wollen das machen. Aber wollten sie nicht.“

Von großen Stars zu ganz persönlichen Geschichten

Werner fotografiert fast jeden Künstler selbst. Ich bin ja nun kein Experte, aber ich finde, er schießt großartige Fotos. Von einem bin ich besonders begeistert: Es zeigt Katja Ebstein in ihrem Wintergarten. Und er erzählt bewusst Geschichten über Musiker, die nicht jeder sofort auf dem Schirm hat: Edo Zanki, der bei Studioaufnahmen mit seiner Gastfreundschaft glänzte, Keith Xander, der mit einer Hakenprothese Gitarre spielt, oder Straßenmusiker in Hamburg, Leipzig und Bozen, bei denen Werner einfach stehenbleibt. „Manchmal nervt das meine Frau“, sagt er liebevoll. „Aber sobald irgendwo ein Ton erklingt, der halbwegs stimmt, muss ich wissen, wer da spielt.“

© Werner G. Lengenfelder Katja Ebstein in ihrem Wintergarten © Werner G. Lengenfelder

Werners Buch „Mein Leben als Pop-Papst“ ist so richtig was zum Schmökern, mit herrlichen kleinen Anekdoten und interessanten Einblicken in die Arbeit eines Musikjournalisten. Und die Liste der Künstler ist beeindruckend vielfältig: Heino, Udo Jürgens, Peter Maffay, James Last, John Miles, Wolfgang Niedecken, Katie Melua, Klaus Doldinger, Udo Lindenberg, Manfred Mann, Peter Cetera, Randy Newman … Da könnte man schon neidisch werden. Aber während wir reden, wird klar: Das Buch ist kein Best-of seiner Promi-Interviews. Es ist ein Mosaik aus Geschichten, die Musik in all ihren Formen zeigen. Große Namen stehen neben kleinen. Perfekte Fotos neben dem flüchtigen Moment.

Und dann gibt es eine Geschichte im Buch, die einen traurigen Nachhall hat. Die Geschichte von Sebastian Frisch handelt nicht von glamourösen Fotoshootings oder legendären Konzerten, sondern von Freundschaft und Verlust. Werners Erinnerungen an Sebastian und welche Rolle Wolfgang Niedecken dabei spielt – davon erzählt er im zweiten Teil.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert