Sterne, Schicksale und die leisen Töne
Der zweite Teil meines Gesprächs mit Werner G. Lengenfelder führt uns hinein in die Geschichten, die zwischen den Zeilen seines Berufslebens stehen: Begegnungen, die ihn geprägt haben, Verluste, die geblieben sind, und Künstlerinnen und Künstler, deren Wege ihn bis heute faszinieren.
Ein Lehrer und die geliehene Santana-LP
Einer dieser prägenden Momente hat nur indirekt mit einem Star zu tun: Es geht um eine Santana-LP und um einen Lehrer. Dieter Heilgemeir, Referendar am Friedberger Gymnasium, war einer dieser Lehrer, die man nicht vergisst. Jung, offen, neugierig – und bereit, seine Schallplatten mit Schülern zu teilen. Eine davon: eine Santana-LP.
„Ich habe die Platte behalten“, sagt Werner, fast ein wenig schuldbewusst. Heilgemeir war einer, der Schüler nachmittags zu sich nach Hause einlud – man durfte ihn sogar duzen. Viel später erlebt Werner Carlos Santana mehrfach live und fotografiert ihn auch. Die LP steht noch immer in seinem Lager. Heilgemeir lebt in Aichach, ist inzwischen in Rente. „Noch ist die Platte nicht zurückgegeben“, gibt Werner zu. In seinem Buch hatte er angekündigt, das nachzuholen. Doch dann kam Corona. „Dann habe ich dich jetzt wieder daran erinnert“, sage ich. Werner lacht. „Ja, genau.“
Sebastian Frisch – ein Freund, ein Musiker, ein Verlust
Unser Gespräch nimmt nun eine traurige Wendung. Sebastian Frisch war kein großer Star, aber er war ein Großer der Augsburger Musikszene. Und er hinterließ eine gewaltige Lücke, als ihn vor zwei Jahren ein Bootsunfall auf der Donau aus dem Leben riss. 2016 hatte er beim Konzert von Wolfgang Niedecken und BAP in der Stadthalle Gersthofen einen Gastauftritt. Werner bannte diesen besonderen Moment auf ein Foto und erinnert sich. „Wir waren seit Schulzeiten befreundet“, erzählt er. „Er war ein paar Jahre jünger, aber die Musik hat uns immer wieder zusammengeführt.“ Den Moment, als er vom Unfall erfuhr, beschreibt er so: „Meine Frau las in der Zeitung von einem Unglück – zunächst ohne Namen. Erst Tage später wurde klar, dass es sich dabei um Sebastian handelte.“

Es gab ein Tributekonzert, eine musikalische Hommage dreier befreundeter Bands. Werner organisierte hierfür eine Videobotschaft von Wolfgang Niedecken, der bei Sebastian in Friedberg bereits ein Wohnzimmerkonzert gegeben hatte. Niedeckens Worte waren schlicht und ehrlich und trafen genau das, was Sebastian ausmachte: Respekt, Leidenschaft, Wärme. Ein toller Typ, der Wolfgang, finde ich. Findet Werner auch. Hat schon seinen Grund, dass er mit dem BAP-Frontmann seit Jahren freundschaftlich verbunden ist.
Zanki, Xander, Straub: Werners besondere Begegnungen
Manche Geschichten in Werners Leben beginnen im Rampenlicht, andere in Studios oder beim zufälligen Hinhören auf der Straße.
Edo Zanki war ein Pionier des deutschsprachigen Soul und für Werner mehr als ein Musiker. „Bei ihm im Studio herrschte immer eine familiäre Atmosphäre. Da wurde gekocht, gelacht, gearbeitet.“ Das sei auch Vilko zu verdanken gewesen, bringt Werner Edos Bruder ins Spiel: „Ohne Vilko hätte das Studio nicht funktioniert.“ Als Edo 2019 starb, fuhr Werner selbstverständlich zur Beerdigung.
Eine Begegnung der überraschenden Art gab es bei einem Manfred-Mann-Konzert in München. Als Support stand Keith Xander auf der Bühne – ein Gitarrist, dem der rechte Unterarm fehlt. Er spielt mit einer Prothese, an deren Ende ein Haken mit Plektrum befestigt ist. „Ich war fasziniert“, sagt Werner. Für ihn war klar: Diese Geschichte musste ins Buch. „Das sollte ja nicht nur eine Auflistung großer Stars werden.“
Und dann ist da Sarah Straub. Die Besonderheit ihrer Geschichte wurde erst deutlich, als das Buch bereits erschienen war. Sie tut etwas, was im Musikbetrieb selten gelingt: Sie verbindet Kunst mit einem klaren gesellschaftlichen Anliegen. „Sarah hat ihre Berufung gefunden“, sagt Werner. Zunächst stand sie mit Coverversionen von Konstantin Wecker auf der Bühne. Sie sang seine Lieder, interpretierte sie auf ihre Weise. Später erfuhr Wecker, dass Sarah Straub auch eine promovierte Psychologin ist und am Universitätsklinikum Ulm eine Spezialsprechstunde für Demenz leitet. Und er bemerkte ihr schriftstellerisches Talent, woraufhin er den Kontakt zu einem Verlag knüpfte. So entstand ihr erstes Buch, ein viel beachtetes Werk über ihre Großmutter. Wecker schrieb das Vorwort. Heute macht Sarah Straub bei ihren Auftritten Musik und liest aus ihren Büchern – sie verbindet Musik und das Thema Demenz in einer einzigartigen Weise, bietet Aufklärung, Trost, Anteilnahme und Kunst.

Werner bleibt überall stehen, wo Musik erklingt. Im Buch widmet er ein ganzes Kapitel den „Stars in der Fußgängerzone“ – junge Wilde, alte Kämpfer, Wandernde, die mit ihren Instrumenten einen Platz verändern. Für Werner gehören sie ebenso zur großen Erzählung der Musik wie die Stars auf der Bühne.
Der Pop-Papst und sein Sakko
Das Cover seines Buches zeigt Werner in einem Sakko, das aussieht, als hätten Hunderte von Backstage-Pässen und Fotoausweisen beschlossen, ein Kleidungsstück zu werden. Und genau so war es auch. „Meine Frau hat irgendwann angefangen, meine Arbeitsausweise zu sortieren und eine Collage daraus zu machen – einfach, weil das ganze Zeug sonst überall herumlag.“
Was als Aufräumaktion begann, wurde zum Symbol. Aus der Collage entstand die Idee, einen Stoff drucken zu lassen. Eine Schneiderin machte sich dann an die Arbeit. Zwei Sakkos existieren heute – eins in Erfurt, eins in Gersthofen. „Ich trage sie nur zu Veranstaltungen“, sagt Werner. Die Idee der Schneiderin, aus dem übrigen Stoff für Werners Frau ein Kleid zu nähen, wurde nicht umgesetzt: „Fand sie nicht witzig“, sagt Werner trocken.
Medien und die Frage nach der Zukunft
Wer so lange im Geschäft ist, hat viele Umbrüche miterlebt: die Verkürzung der Radiobeiträge von 3:30 auf 2:30, dann auf 1:30 Minuten – „heute ist man schon im Sekundenbereich“, sagt Werner. Auch Social Media habe die Hörgewohnheiten verändert, auf TikTok beispielsweise liege die Aufmerksamkeitsspanne bei 20 Sekunden. „Dem muss man natürlich Rechnung tragen“, sagt er pragmatisch. „Aber mir fehlen manchmal diese längeren Formate, wo man mal ausführlich etwas darstellen kann.“
Und wie denkt er über KI? Werner hat keine Angst vor künstlicher Intelligenz. „Die KI reproduziert, was es schon gibt“, sagt er. Gute Journalistinnen und Journalisten hingegen entwickelten etwas Eigenes. Einfache Aufgaben, klar, da könne KI einiges übernehmen. Aber Interviews, die Tiefe, Haltung und Wissen brauchen? „Das ersetzt keine Maschine.“
Auch im Musikgeschäft steht er KI gelassen gegenüber – solange Urheber geschützt werden. „Fahrstuhlmusik kann KI übernehmen, Kreativität bleibt Menschensache.“
Konzerte – auch privat ein Vergnügen
Kann Werner Konzerte einfach nur genießen? Oder schaltet der Profi automatisch in den Arbeitsmodus? „Der Arbeitsmodus läuft immer mit“, gibt er unumwunden zu. „Wie viele Leute waren da? Was kostet das Ticket? Wie hoch werden die Einnahmen sein? Was geht davon weg für den Veranstalter, für Reise- und Transportkosten?“ Der analytische Blick sei nicht abzuschalten. „Man schaut auch drauf, ob das Konzept einer Band stimmt und natürlich wie die musikalische Qualität ist.“
„Ich kann es trotzdem genießen“, sagt er. Und er zahlt. Ganz bewusst. „Wenn ich ins Bombig gehe, achte ich immer drauf, dass was in den Hut kommt. Das muss man schon würdigen, dass die hier ohne Eintritt spielen.“
Der Pop-Papst beim KUKI Express
Der KUKI Express startet seit Kurzem online neu durch und Werner gehört wieder zum Redaktionsteam. Als das Vereinsmagazin noch als Printausgabe erschien, war eine Kolumne geplant – John Miles sollte als erster porträtiert werden. „Jetzt wird es eben online passieren“, sagt Werner. Er ist froh, dass es wieder eine Redaktion gibt. „Die, die jetzt da sind, sind wirklich sehr engagiert, und den einen oder anderen Artikel steuere ich dann schon bei.“ Zum Beispiel Geschichten aus seinem Buch: Little Steven, John Miles – Gespräche, die Zeit hatten, sich zu entfalten.
Die Gästetoilette und die Frage nach dem G-Punkt
Zum Schluss zeigt Werner mir sein Büro. Ein großer Schreibtisch mit Monitor grenzt nahtlos ans Wohnzimmer an: „Da hängen dann noch ein paar goldene Schallplatten oder Platinplatten rum. Ich habe von Maffay mal eine gekriegt für die Unterstützung beim MTV Unplugged Album.“ Auch in die Gästetoilette darf ich einen Blick werfen. Werner erklärt: „Du siehst ja, auf einer Seite des Wohnzimmers nur Fenster. Es gibt kaum Wände, weshalb ich alles Mögliche ins Klo hängen musste.“ Und auf der Gästetoilette hängt Einiges: Anastacia, der junge Werner mit dem jungen Fritz Egner – „der ist schon noch näher dran“, gibt Werner zu –, Ralph Siegel, Johnny Logan, Werner in der Anfangszeit des Lokalradios, Klaus Doldinger, die Scorpions … „Wenn man bei Dir aufs Klo geht, kommt man nicht so schnell wieder raus“, stelle ich fest. Werner lacht.

Eine Frage muss natürlich noch beantwortet werden. Wofür steht das „G.“ in Werners Namen? Die KI-Suchfunktion von Google antwortet „Gustav“, beim zweiten Versuch „Georg“. KI-Tools wie ChatGPT, Perplexity und Claude verweigern eine Antwort mit dem Hinweis, keine verlässliche Quelle finden zu können. Nun, mir sitzt die verlässliche Quelle gegenüber: „Georg stimmt“, löst Werner das Rätsel. Entstanden sei das Kürzel in seinen Anfängen als Printjournalist, als man sich in deutschen Redaktionen plötzlich amerikanisch gab und zweite Vornamen gern abkürzte. Werner behielt das „G.“ später fürs Radio bei – und heute ist es Teil seiner Marke geworden.



